Die Corona-Krise wirkt wie ein „Brennglas“. Sowohl Stärken als auch Schwächen des deutschen Gesundheits- und Sozialsystems werden deutlich.
Für den Erfolg unseres Gesundheitssystems ist entscheidend, die Versorgung von Patientinnen und Patienten nachhaltig sicherzustellen und die vorhandenen Ressourcen danach auszurichten. Dies erfordert die Koordinierung und Kooperation des knapp bemessenen medizinischen Fachpersonals an Ärztinnen und Ärzten, Pflegerinnen und Pflegern sowie Therapeutinnen und Therapeuten.
Die diesjährige GVG-Konferenz befasste sich daher mit den Chancen und Potentialen des interprofessionellen Gesundheitssystems in Deutschland. Es sollten Lösungsoptionen dafür identifiziert werden, wie Patientinnen und Patienten sowie das deutsche Gesundheits- und Sozialsystem als Ganzes gleichermaßen profitieren können, wenn die medizinische Verantwortung für die Versorgung der Menschen auf möglichst viele qualifizierte Schultern gezielt übertragen wird.
Moderation
Dr. Franz Bartmann (© privat)
Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund/ Vorstandsvorsitzende der GVG e.V. (© DRV-Bund)
Wir können uns einerseits glücklich schätzen, den Menschen in unserem Land eine nach wie vor gute Versorgung anbieten zu können, sehen aber auch, dass Krisensituationen unsere Systeme an ihre Belastungsgrenzen bringen können.
Zudem wird die Bevölkerung älter, Arztkontakte werden häufiger und die medizinische Versorgung wird weiter an Bedeutung gewinnen.
Eine gelebte Kooperation zwischen ärztlichen und nichtärztlichen Berufsgruppen im Gesundheitswesen kann möglicherweise eine zentrale Grundlage bieten, eine angemessene medizinische Versorgung im urbanen und besonders im ländlichen Raum zu gewährleisten. Es geht darum, Synergieeffekte zu erzeugen und zu bündeln.
Grundvoraussetzung für eine patientenzentrierte Versorgung durch interprofessionelle Behandlungsteams ist eine gut strukturierte Integration und Koordination der sozialmedizinischen, fachmedizinischen sowie pflegerischen Patientenanliegen.
Die interprofessionelle Zusammenarbeit liefert einen wichtigen Beitrag für die Neuausrichtung von Versorgungsmodellen sowie die Ermächtigung und Einbeziehung von Patientinnen und Patienten.
Chancen und Potentiale der interprofessionellen Zusammenarbeit für eine patientenzentrierte Versorgung aus Sicht der Krankenversicherung
Michael Weller, GKV-Spitzenverband (© privat)
zur Präsentation
Interprofessionelle Zusammenarbeit steht schon lange auf der Agenda der Gesundheitspolitik. So ruft das Sachverständigenratsgutachten von 2007 zur verbesserten interprofessionellen Zusammenarbeit der unterschiedlichen Berufsgruppen auf, unter anderem durch die stärkere Einbeziehung von anderen Heil- und Gesundheitsfachberufen in der Versorgung.
Mit eine immer hochwertigeren und spezialisierteren Versorgung steigt der Abstimmungsbedarf der medizinischen Berufsgruppen untereinander.
Interprofessionellen Zusammenarbeit und sektorenübergreifende Versorgung sind kein Selbstzweck. Sie sind am Patienten oder Pflegebedürftigen und dessen Bedürfnissen auszurichten und endet nicht an Sektorengrenzen.
Voraussetzung ist die (auch) Implementierung einer kommunikativen digitalen Infrastruktur für die im Gesundheitswesen Tätigen.
Übergeordnetes Ziel ist es, diese Zusammenarbeit aus der Patientenperspektive zu organisieren, durch:
Hinderungsgründe für interprofessionelle Zusammenarbeit können sein:
Was geschieht aktuell in der Politik?
Patientenversorgung gemeinsam gestalten – wo stehen wir, wohin wollen wir?
Dr. Bernhard Gibis, Kassenärztliche Bundesvereinigung (© privat)
zur Präsentation
Ohne multiprofessionelle Zusammenarbeit gibt es keine ambulante Versorgung. Die Nachfrage danach steigt. Daher gilt es, neue Wege der Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen sowie neue Muster der Versorgung zu finden und zu beschreiben. Dabei ist auf möglichst flache Hierarchien zu achten.
Zahlreiche Veränderungsfaktoren erfordern und bewirken eine Neuausrichtung:
Analyse zu Teammodellen in der Gesundheitsversorgung:
Stärken
Schwächen
Chancen
Gefahren
Einer für Alle: Ein Praxisbeispiel, wie ein MVZ durch gemeinsame Übernahme von Verantwortung durch Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegefachkräfte nahezu zum ambulanten Vollversorger wird
Dr. Volker Eissing, MVZ Birkenallee Papenburg (© privat)
zur Präsentation
Die Aufgabe ist, es, Versorgung im ländlichen Raum sicherzustellen und zu ermöglichen, den Lebensabend zuhause im Kreise der Familie verleben zu dürfen.
Das Problem: Immer weniger Ärzten versorgen immer mehr Patienten. Deshalb sollen neue Strukturen die Versorgung sichern.
Im MVZ Papenburg behandeln 75 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter orthopädisch, neurologisch, gynäkologisch und hausärztlich.
Delegation ist der Weg, unter anderem durch:
Problem: Nicht-ärztlichen Praxisassistentinnen (NÄPA) sind in der Lage, Arbeiten im Rahmen der Delegation zu übernehmen. Rechtlich dürfen sie Vieles nicht.
Ein Lösungsweg ist das neue Projekt „Physician Assistant“, an den Ärzte delegierbare Tätigkeiten übertragen.
Die Kernaussagen
Eine engere Zusammenarbeit aller Gesundheitsberufe ist das Gebot der Stunde. Dabei sollten die jeweiligen Kompetenzen besser als bisher genutzt werden.
Die Basis für gegenseitiges Verständnis der Gesundheitsberufe untereinander muss bereits während der Ausbildung gelegt werden – dabei wäre auch, dort, wo es sinnvoll erscheint, über gemeinsame Ausbildungsabschnitte nachzudenken.
Die Vergütungssysteme müssen sich in Richtung einer gemeinsamen anteiligen Behandlung und deren Vergütung entwickeln.
Diskurse wie der heutige sind ein wichtiger und wertvoller Bestandteil bei der Definition und Umsetzung dieser gemeinsamen Ziele.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Diskussion
Dr. Volker Eissing, MVZ Birkenallee Papenburg
Dr. Bernhard Gibis, Kassenärztliche Bundesvereinigung
Dr. Sonja Optendrenk, Bundesministerium für Gesundheit (© privat)
Michael Weller, GKV-Spitzenverband
Christine Vogler, Deutscher Pflegerat e.V. (© Gudrun Arndt)