gesundheitsziele.de im Gespräch

Interview mit Hon.-Prof. (DPU) Dr. med. Günther Jonitz zum Patient Safety - 5th Global Ministerial Summit 2023

04.06.2023

Vom 23. bis zum 24. Februar fand der Patient Safety - 5th Global Ministerial Summit 2023 in Montreux statt. Der diesjährige Summit fand nach coronabedingter Pause unter dem Thema “Less Harm, Better Care – from Resolution to Implementation” statt. Am Summit nehmen Minister:innen, Expert:innen und Gesandte aus aller Welt teil. Hon.-Prof. (DPU) Dr. med. Günther Jonitz hat als Vorsitzender der AG Patientensicherheit des Kooperationsverbundes gesundheitsziele.de am Summit teilgenommen. Wir haben mit Herrn Günther Jonitz über die Bedeutung des Summits und die Herausforderungen zur Verbesserung der Patientensicherheit in Deutschland gesprochen.

gesundheitsziele.de: Was ist das Besondere am Global Ministerial Patient Safety Summit?

Herr Jonitz: Der Global Ministerial Patient Safety Summit ist weltweit die einzige Veranstaltung, die Fragen der Gesundheitsversorgung und Patientenversorgung international mit den höchst verantwortlichen Politikern und internationalen Fachexperten gemeinsam beleuchtet. Dabei werden die Themen konstruktiv und lösungsorientiert diskutiert.

Zudem bringt der Summit dem Thema Patientensicherheit eine hohe Wertschätzung entgegen und erzeugt Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit für das Thema.

gesundheitsziele.de: Hat die Konferenz Ihrer Meinung nach ihren Zweck erfüllt?

Herr Jonitz: Klares Ja. Und die Zahl der internationalen Entscheidungsträgern unter den Teilnehmer:innen ist stark gestiegen.

gesundheitsziele.de: Was ist Ihr größter „Take-away“ vom Ministerial Summit?

Herr Jonitz: Dass der Summit keine Eintagsfliege ist und sich verstetigt hat. Dass das Thema Patientensicherheit international und in der Politik inzwischen unstrittig ist und die grundsätzliche Herangehensweise allgemein anerkannt ist.

gesundheitsziele.de: Wie schätzen Sie Deutschland im Erreichen des Global Patient Safety Action Plan 2021-2030 ein?

Herr Jonitz: Wenn man sich den Global Patient Safety Action Plan 2021-2030 der WHO anschaut, ist man in Deutschland in vielen Feldern schon ziemlich weit und bei vielen relevanten Akteuren steht der Plan auf der Agenda. Zum Beispiel gibt es derzeit Bestrebungen die Ausbildungsordnungen von Gesundheitsberufen, um das Thema Patientensicherheit zu ergänzen. Ein Gewinn ist auch, dass wir mit Dr. med. Ruth Hecker seit 2019 die erste Chief Patient Safety Officer (CPSO) an der Universitätsmedizin Essen haben. Auch die Universität in Frankfurt/Main ist sehr stark an dem Thema dran. Ein nahezu noch blinder Fleck ist das Thema Sicherheitskultur, dieses liegt leider noch im Dornröschenschlaf.

Insgesamt tut sich in Deutschland wahrscheinlich mehr auf der Arbeitsebene als wir derzeit sehen. Viele Aktivitäten auf der Arbeitsebene laufen im Verborgenen und unkoordiniert und in der Umsetzung dauert dennoch vieles zu lange. Um den Global Patient Safety Action Plan 2021-2030 zu erreichen, braucht es daher stärkeren politischen Rückenwind. Wünschenswert wäre zum Beispiel eine vom BMG koordinierte Arbeitsgruppe. Deutschland sollte außerdem einen Aktionsplan zur Umsetzung des Global Patient Safety Action Plan 2021-2030 ins Leben rufen.                                                     

gesundheitsziele.de: Wie optimistisch sind Sie hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen für mehr Patient:innensicherheit?

Herr Jonitz: : Grundsätzlich bin ich optimistisch, aber nicht euphorisch. Optimistisch, weil spätestens durch die Corona-Pandemie deutlich wurde, dass Patientensicherheit nicht nur Vertreter:innen der Gesundheitspolitik betrifft oder die Financiers, sondern, dass alle davon betroffen sind.

Optimistisch, da das Wohl der Patient:innen mit dem Wohl der Mitarbeitenden im Gesundheitsbereich stark korreliert. Und angesichts der Knappheit der Gesundheitsberufe international wird das Thema Patientensicherheit im Ringen und Halten von Fachkräften weiter Aufmerksamkeit gewinnen und berücksichtigt werden müssen.

Weniger optimistisch bin ich bezüglich des Bestrebens höherer politischer Entscheidungsträger:innen für die Sache an sich. Und auch verbunden mit Blick auf die Patientensicherheit von Menschen, die pflegebedürftig sind, bin ich weniger optimistisch. Denn für eine humane Betreuung bzw. Pflege braucht es qualitativ hochwertige und humane Arbeitsbedingungen - davon sind wir aber noch relativ weit entfernt.

Weniger optimistisch bin ich, weil es in Deutschland zu viel kleinteilige Bestrebungen gibt. Wir können viel von kleinen und auch weniger entwickelten Ländern im arabischen und auch indischen Raum lernen. Hier gibt es sehr viele Anregungen, wie die Versorgung und Sicherheit von Patientent:innen verbessert werden kann, in dem die Aktivitäten großflächig, organisiert, strategisch und ressourcenorientiert konzipiert werden.

gesundheitsziele.de: Was konnten Sie aus den Bestrebungen anderer Länder für sich und Deutschland mitnehmen?

Herr Jonitz: Patientensicherheit ist mehr als nur Sicherheit für Patienten, sondern wenn es gelingt, ist es eine Win-Win-Win-Situation: Gut für die Patienten, gut für die Gesundheitsberufe aber auch gut für die Kostenträger und das Gesundheitssystem.

Und ganz konkret ein Beispiel aus dem United Kingdom: Im Rahmen eines nicht per se auf Patientensicherheit bezogenen Forschungsprojektes mit der Frage: „Was muss ich tun, um die Wartezeiten in den Rettungsstellen zu verringern und für schnellere und bessere Durchführung zu sorgen?“ war die Lösung ganz einfach. Werden den erfahrenen Rettungsstellenärzt:innen Schreibkräfte zur Verfügung gestellt, die den Großteil der Dokumentation erledigen, verringern sich die Wartezeiten in den Rettungsstellen erheblich. Es ist hanebüchen, dass ausgebildete Ärzt:innen in Deutschland nach einer Behandlung mindestens eine halbe Stunde zwecks Dokumentationszwecken am PC sitzen, um Daten einzutippen. Das machen andere Länder deutlich besser.

gesundheitsziele.de: Im Rahmen des Summits wurden mehrere Breakout Sessions zu unterschiedlichen Aspekten der Patient:innensicherheit angeboten, die zeigen, wie facettenreich die Thematik ist. Was kennzeichnet diese Sessions und an welcher Session haben Sie teilgenommen?

Herr Jonitz: Die Breitschaft voneinander zulernen aus verschiedenen Ländern war großartig. Die Breakout Sessions waren dafür sehr hilfreich. Und Deutschland kann von Ländern, die weniger für ihr Gesundheitssystem ausgeben, noch viel lernen. Zum Beispiel, wie man mit weniger Geld an der richtigen Stelle investiert und damit die besten Ergebnisse erzielt.

Ich habe unter anderem an der Session von Peru teilgenommen. Peru ist das nächste Austragungsland des Global Ministerial Summit. Dieser Session setzte den Fokus auf Teamarbeit stärken, um Patientensicherheit zu erhöhen. In diesem Kontext wurde das im Wesentlichen von US-Amerikaner:innen entwickelte Programm „teamSTEPPS“ vorgestellt, das auf die systematische Förderung von Teamarbeit abzielt. Weitere Infos hierzu unter: www.teamstepps.de

gesundheitsziele.de: Der Summit stand unter dem Motto „Less Harm, Better Care – from Resolution to Implementation” und sollte auf Umsetzungslücken aufmerksam machen. Für welche nächsten Schritte appellieren Sie für die aktive Umsetzung des Gesundheitsziels Patientensicherheit nach dessen Veröffentlichung im September letzten Jahres?

Herr Jonitz: Wir brauchen in erster Linie auf der obersten politischen Ebene ein konkretes Committent des Gesundheitsministers und damit verbunden das Einrichten einer Arbeitsgruppe. Aufgabe der Arbeitsgruppe wäre es, eine Strategie für Deutschland zu erarbeiten, was die nächsten konkreten Schritte wären und an welchen Stellen eine Änderung der realexistierenden Gesetzgebung zu erwirken wäre. Dabei ist der Einbezug relevanter Akteure, wie G-BA und das Aktionsbündnis „Patientensicherheit“ sicherzustellen. Darüber hinaus sind auch die positiven und erfolgreichen Bestrebungen und Erfahrungswerte aus anderen Ländern zu berücksichtigen.