Niels Reith ist seit dem 1. September 2021 Geschäftsführer der GVG. Seit vielen Jahren ist er hauptberuflich und ehrenamtlich für unterschiedliche Verbände tätig – u. a. als Geschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Berufsförderungswerke. Er ist verheiratet und Vater eines neunjährigen Sohnes. Nach einem Jahr in der neuen Position wollen wir mit ihm ein kleines Zwischenfazit ziehen und auf die geplanten Themen der GVG schauen.
GVG im Gespräch: Sehr geehrter Herr Reith, Sie sind seit einem Jahr Geschäftsführer der GVG. Vorher waren Sie lange Jahre Geschäftsführer des Bundesverbandes der Berufsförderungswerke (BV BFW). Warum sind Sie damals zur GVG gekommen?
Niels Reith: Da der BV BFW Mitglied der GVG ist, waren mir die Arbeit und die Themen der GVG bereits vertraut. Die GVG ist für mich schon immer eine einzigartige Organisation mit viel Potenzial gewesen. Nahezu alle relevanten Akteure der sozialen Sicherung, arbeiten gemeinsam an den Themen von morgen. Das gibt es in dieser Form nur in der GVG. Die vielfältigen Perspektiven von Sozialversicherungsträgern, Sozialpartnern, Leistungserbringern, Privatunternehmen, Verbänden und Kammern zusammenzubringen und die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft, ist eine enorm spannende und reizvolle Aufgabe. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen und zukünftigen Herausforderungen braucht es einen solchen Ort und ich hoffe, wir können auch in Zukunft Beiträge zur Ausgestaltung unseres Sozialstaates leisten.
GVG im Gespräch: Sie sind vor einem Jahr Geschäftsführer der GVG geworden. Wie waren damals die ersten Wochen?
Niels Reith: Der Beginn war schon eine Herausforderung. Ein neues Team musste zusammengestellt werden und die Geschäftsstelle an neue Anforderungen angepasst werden. Jeder Stein wurde umgedreht. Wir wollen frischen Wind einbringen und die GVG agiler aufstellen. Mit einem neuen Arbeitsprogramm wurde seitens des Vorstands und des Präsidiums der Rahmen für diese Neuaufstellung der GVG gegeben.
Zudem gab es nach ein paar Wochen eine Fachkonferenz, u.a. mit Prof. Fratzscher vom DIW und Prof. Dr. Jutta Allmendinger vom WZB und eine Mitgliederversammlung, die wir aufgrund von Corona kurzfristig digital durchführen mussten – und das mit einem kleinen Team. Das war schon ein Sprung ins kalte Wasser, der aber sehr gut geglückt ist.
GVG im Gespräch: Wenn man die bisherigen Pressemeldungen sieht, wird oft von der Neuausrichtung der GVG gesprochen. Sagen Sie uns, wie diese Ausrichtung aussehen wird.
Niels Reith: Wir werden erst einmal die erfolgreiche Arbeit der verschiedenen Ausschüsse weiterführen. Dort werden wir weiterhin über aktuelle und zukünftige Themen diskutieren und zum Beispiel im Gesundheitsbereich oder beim Thema Alterssicherung Empfehlungen und Lösungsvarianten entwickeln. Es soll aber dynamischer und agiler werden. Wir wollen die Ausschussarbeit auch durch neue und flexiblere Formate anreichern.
GVG im Gespräch: Wie soll das konkret aussehen?
Niels Reith: Nehmen Sie das Thema Digitalisierung. Deutschland hat in nahezu allen Bereichen der Digitalisierung noch sehr viel Luft nach oben. Andere europäische Länder sind in diesen Bereichen viel weiter als wir, obwohl hier stellenweise die gleichen datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen gelten. Wir müssen hier enorm aufpassen, wenn wir den Anschluss nicht verlieren wollen. Wir wollen deshalb im neuen Forum Digitalisierung über alle Zweige der sozialen Sicherung hinweg Vorschläge erarbeiten und deutlich machen, welche Probleme in Zukunft angegangen und gelöst werden müssen. Damit bekommt die Digitalisierung in Deutschland auch in der sozialen Sicherung eine größere Geschwindigkeit. Natürlich gibt es hier auch andere wichtige Initiativen. Für ein Forum, das alle Zweige der sozialen Sicherung vernetzt und übergeordnete Themen beleuchtet, ist für mich die GVG der richtige Ort.
GVG im Gespräch: Welche thematischen Schwerpunkte wird es zudem noch geben?
Niels Reith: Die GVG arbeitet an verschiedenen Projekten. Wir haben zum Beispiel mit dem Kooperationsverbund Gesundheits.de intensiv am 10. nationalen Gesundheitsziel Patientensicherheit gearbeitet. Am 16. September wird dieses Ziel veröffentlicht. Dabei geht es darum Fehler sowie kritische und unerwünschte Ereignisse zu vermeiden und Patientinnen und Patienten bestmöglich vor vermeidbaren, gesundheitlichen Schäden zu schützen. Dies ist für sie und ihre Angehörigen ebenso von zentraler Bedeutung wie für die Beschäftigten im Gesundheitswesen.
Auch die digitale Rentenübersicht ist für uns ein Herzensthema. Um die Transparenz in der Altersvorsorge zu erhöhen und mehr Menschen für dieses wichtige Thema zu sensibilisieren, hat sich die GVG gemeinsam mit ihren Mitgliedern sehr für eine digitale Rentenübersicht stark gemacht. Hier haben alle drei Säulen über viele Jahre intensiv zusammengearbeitet. 2020 verabschiedete schließlich der Deutsche Bundestag das Rentenübersichtsgesetz. Die erste Betriebsphase startet noch in diesem Jahr. Wie ich finde ein sehr schönes Beispiel für das Potenzial der GVG. Ich bedanke mich bei allen, die dies mit viel Einsatz möglich gemacht haben.
Für uns geht es darum, die soziale Sicherung von Morgen zu gestalten. Dafür müssen wir verstärkt zukunftsrelevante Themen identifizieren. Wichtig sind dabei unsere Mitglieder, die diese Arbeit mitentwickeln und gemeinsam an Lösungsoptionen arbeiten – und dass obwohl die Interessenslagen manchmal auch völlig unterschiedlich sind. Trotzdem werden gemeinsam im Konsens Lösungsoptionen erarbeitet. Diese Vorgehensweise unterscheidet die GVG auch von vielen Verbänden. Das ist schon bemerkenswert.
GVG im Gespräch: Wie sieht es denn mit den aktuellen Themen aus? Wo bleiben die in ihrem Portfolio?
Niels Reith: Die sind natürlich ebenso wichtig. Zu Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine haben wir zum Beispiel eine Aktuelle Stunde gestartet. Sie soll den Mitgliedern die Möglichkeit geben, sich untereinander auszutauschen und über wichtige Entwicklungen zu informieren – auch mit Impulsbeiträgen. Gerade in den ersten Wochen ging es ja zum Beispiel darum, den Zugang zu Sozialleistungen zu organisieren. Bei den mittlerweile sieben Aktuellen Stunden haben wir uns u. a. darüber ausgetauscht, wie die Krankenhausversorgung für Geflüchtete aus der Ukraine organisiert wird, welche Initiativen der Wirtschaft auf den Weg gebracht werden oder wie Verdienstmöglichkeiten geschaffen und Qualifizierungen anerkannt werden können. Mittlerweile nehmen auch Organisationen außerhalb der GVG, wie beispielsweise der Deutsche Städte- und Gemeindebund, der Paritätische Gesamtverband, das Institut der deutschen Wirtschaft oder die Alliance4Ukraine mit Impulsen am Austausch teil. Dieses Format werden wir auch zukünftig bei wichtigen übergreifenden Themen nutzen, um unterschiedlichen Akteuren eine Plattform für den Austausch zu geben.
GVG im Gespräch: Die GVG hat im Juli ihr 75-jähriges Jubiläum gefeiert. Es gab in der Vergangenheit viele Errungenschaften und Anstöße, wie die Entwicklung der Gesundheitskarte, die Impulse zur Telematik des Gesundheitswesens oder zu generell mehr eHealth. Wie will die GVG die Zukunftsthemen jetzt anpacken? Langjährig erarbeitete Papiere gibt es immer weniger. Die Kommunikation – vor allem in den sozialen Medien – hat sich komplett verändert. Wie tragen Sie dem Rechnung?
Niels Reith: Das stimmt. Die Kommunikation ist insgesamt schneller und leider auch aufgeregter geworden.
Die GVG hat allerdings immer ausgemacht, dass man mit den wichtigen Akteuren die Zukunftsfragen in den sozialen Themengebieten intensiv diskutiert hat. Das muss auch so bleiben. Wir sind ein Ort der Fachlichkeit in dem die Kraft des Arguments zählt. Allerdings wollen wir unsere Positionen schneller kommunizieren und mit der großen Expertise unserer Mitglieder Fakten und Praxiswissen in Debatten hineinbringen.
Und das nicht nur in Ausschüssen. Wir wollen in digitalen Formaten, wie dem GVG-Impuls, Meet the member, Aktuelle Stunde oder Twitter Spaces neue Formen der Kommunikation nutzen, um mit Fachexpertinnen und Experten Themen zu diskutieren und Lösungsvarianten zu entwickeln. Hier wird es öffentliche Veranstaltungen geben, aber auch Formate, die nur unseren Mitgliedern offenstehen. Dabei nutzen wir auch unsere neue Homepage und die sozialen Kanäle.
GVG im Gespräch: Eine Frage zum Schluss: Das erste Jahr liegt hinter Ihnen, was wünschen Sie sich für die kommende Zeit in der GVG?
Niels Reith: Der rege Austausch mit den Mitgliedern, dem Vorstand und dem Präsidium zeigen mir, dass wir mit der GVG auf dem richtigen Weg sind. Hier gibt es viel Rückhalt und Bestätigung. Damit die Transformation der GVG in den kommenden Jahren nachhaltig gelingt, wünsche ich mir, dass alle Mitglieder diesen Prozess weiter begleiten und sich vor allem aktiv mit Ideen und Engagement einbringen. Das Team der Geschäftsstelle ist hier jederzeit ansprechbar. Außerdem wollen wir unsere Mitgliederstruktur weiterentwickeln, damit sich weitere Akteure in die GVG einbringen können. Die GVG ist eine pluralistische Plattform, auf der komplexe Herausforderungen angesprochen werden. Hier sind neue Perspektiven jederzeit willkommen.
GVG im Gespräch: Dann wünschen wir Ihnen dafür alles Gute. Vielen Dank für das Interview.