Generationengerechtigkeit ist schnell in aller Munde, wenn der Verdacht entsteht, unterschiedliche Generationen könnten unterschiedlich behandelt werden. Dies ist gegenwärtig vor allem deshalb der Fall, weil die Älteren gerade bei Wahlen ein gewisses „Übergewicht“ bekommen. Doch wie definieren und begründen wir Generationengerechtigkeit? Wie verhält sie sich gegenüber anderen Gerechtigkeitsvorstellungen? Und wie ist mit dem Generationendialog umzugehen?
Wie definieren und begründen wir Generationengerechtigkeit?
Generationengerechtigkeit ist der Erhalt bzw. die Ermöglichung der Handlungsfähigkeit zukünftiger Generationen. Dabei steht die gerechte Verteilung gesellschaftlicher Belastungen beziehungsweise des gesellschaftlichen Wohls auf die verschiedenen Generationen im Fokus. Es geht also um ein beständiges Abwägen von Aufgaben und Ausgaben heute zu den daraus resultierenden Folgen morgen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es nicht nur um das Verhältnis zwischen aufeinander folgenden Generationen geht, sondern auch um dasjenige zwischen etwa in einem Jahr parallel lebenden Generationen. Meistens wird nur im Sinne des Erhalts zukünftiger Handlungsfähigkeit argumentiert, etwa dass heute die Verschuldung sehr eingeschränkt sein soll, damit wir die zukünftigen Generationen nicht mit der Rückzahlung dieser Schulden belasten. Dies ist aber eine eingeschränkte Sichtweise und beruht auf der Argumentation der sogenannten negativen Freiheit. Dies ist die Freiheit „von“ etwas. Wird aber auch die Ermöglichung von Handlungsfähigkeit mitberücksichtigt, dann gelangen wir zur positiven Freiheit, der Freiheit „zu“ etwas. Damit erhalten die Aufgaben und Ausgaben der älteren Generation auch einen intergenerativen Auftrag, der sich nicht allein auf Sparen bezieht.
Wie verhält sie sich gegenüber anderen Gerechtigkeitsvorstellungen?
Die Generationengerechtigkeit liegt mit ihrer Längsschnittbetrachtung im Prinzip quer zu den üblichen Gerechtigkeitsvorstellungen, die einen Sozialstaat prägen. Im horizontalen Sinne zu einem Zeitpunkt in der Bevölkerung diskutieren wir über Chancen-, Leistungs-, Bedarfsgerechtigkeit und natürlich stellt sich die Frage, ob und, wenn ja, inwieweit die verschiedenen Gerechtigkeitsbegriffe und ihre zeitliche Ausrichtung zu Konflikten führen können. Die Antwort hierauf hängt ebenfalls wieder vom zugrundeliegenden Freiheitsbegriff ab. Will man die zukünftige Generation gemäß der positiven Freiheit unterstützen, dann sind die typischen Politiken der horizontalen Gerechtigkeitsvorstellungen, etwa Bildungspolitik, Familienpolitik, Sozialpolitik, also Politiken, die die Teilhabemöglichkeiten erhöhen, durchaus auch als Maßnahmen der Generationengerechtigkeit anzusehen.
Wie ist ein Generationendialog über Aufgaben und Ausgaben auszugestalten?
Die Beschränkung auf Sparen im Sinne der negativen Freiheit ist relativ einfach zu bewerkstelligen, weil einfach zu messen und mit spezifischen Regularien wie etwa der Schuldenbremse zu regeln. Demgegenüber ist die Verfolgung der positiven Freiheit mit heutigen Aufgaben und Ausgaben, die zukünftigen Generationen zugutekommen, schwerer zu regeln und zu kontrollieren. Zuallererst müsste ein Konsens über Ausgaben mit investivem Charakter hergestellt werden. Hier liegen etwa für die Bundesrepublik Vorschläge des Sachverständigenrats zu zukunftsorientierten Ausgaben oder des ZEW in Mannheim zu einer Zukunftsquote vor, mit denen Aufgaben und Ausgaben identifiziert werden können, deren Nutzen vor allem in der Zukunft liegt.
Drei Nebenbemerkungen zum Schluss
Zahlreiche Untersuchungen aus verschiedenen Ländern und Disziplinen zeigen, dass Transferleistungen zur Behebung von Kinderarmut entgegen der Stammtischmeinung bei den Kindern ankommen und deren Situation in mehrfacher Hinsicht verbessern.
Öffentlichen Schulden stehen private Gläubiger gegenüber, die ihre Ansprüche an den Staat vererben können. Zukünftige Generationen zahlen also nicht nur die Schulden zurück, sondern sind aggregiert betrachtet auch Empfänger dieser Rückzahlungen.
Deutschland hat eine im EU-Vergleich überdurchschnittliche Spar- und unterdurchschnittliche Investitionsquote. So gesehen ist kein crowding out durch eine öffentliche Kreditaufnahme zu vermuten. Und saldenmechanisch muss die öffentliche Verschuldung steigen, wenn sich nicht wie bisher das Ausland verschulden soll.
Es geht stets um eine Güterabwägung dergestalt, dass dem Nutzen heutiger Ausgaben dessen Kosten gegenüberzustellen sind, aber immer vor dem Hintergrund, dass dieses Kosten-Nutzen-Verhältnis positive Auswirkungen auf das Wachstum hat. Der Erhalt der langfristigen Tragfähigkeit öffentlicher Finanzen heißt eben auch Investition in Sach- und Humankapital zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung und eben des Sozialstaats. Gegeben die makroökonomischen Rahmenbedingungen wäre ein auf der Idee der positiven Freiheit und einer breiter definierten Generationengerechtigkeit fußender investiver Sozialstaat eine zukunftsorientierte Vision für Deutschland.
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