Oft wird Generationengerechtigkeit auf die Forderung reduziert, dass junge Menschen möglichst geringe Beiträge in die Sozialversicherungen einzahlen sollten. Für mich bedeutet Generationengerechtigkeit vielmehr, dass jede Generation das Recht auf gleiche Chancen, Absicherung und Lebensqualität hat. Dafür ist ein stabiles Rentenniveau unumgänglich. Es bietet nicht nur der heutigen Rentnergeneration Sicherheit, sondern es ist auch ein Versprechen an die jungen und mittelalten Generationen, dass die Rente nach dem Ende ihres Erwerbslebens den Lebensstandard sichert und im Alter genauso wie die Löhne steigt.
Die gesetzliche Rente im Umlageverfahren ist das stärkste Solidaritätsband, vielleicht neben Weihnachten, das wir als Gesellschaft zwischen den Generationen gespannt haben. Jahr für Jahr fließen über 300 Milliarden Euro an Rentenbeiträgen von den aktiven Generationen auf das Konto ihrer Eltern- oder Großelterngeneration, um deren Lebensstandard zu sichern – inklusive Reha, Mütterrente und Rentenpunkte für Pflege. Viele der Jüngeren erhalten dafür von den Älteren Unterstützung im Alltag, beispielsweise bei der Enkelbetreuung und der Pflege von Angehörigen.
Die Voraussetzung für die Unterstützung durch die ältere Generation ist, dass diese gesund ist und von ihrer Rente gut leben kann. Zweiteres ist für viele nicht selbstverständlich. So ergab eine repräsentative Umfrage im Auftrag des VdK im August 2024, dass sich fast jeder Zweite über 50 Jahre vorstellen kann, neben der Rente zu arbeiten. Aber knapp ein Drittel davon gibt als Grund an, dass das Geld im Ruhestand nicht reicht. Wenn Angst vor Altersarmut diese Menschen zu Arbeit im Seniorenalter drängt, sagt das nichts Gutes über unsere Gesellschaft aus.
Wenn wir über Generationengerechtigkeit und über ein solidarisches Gesellschaftssystem sprechen, müssen wir über chronische Krankheiten sprechen. Das kann jeden, auch junge Menschen, treffen. Die Erwerbsminderungsrente ist dann für viele der letzte Rettungsanker.
Diese Lebensrealitäten und die Sicherungsfunktion der gesetzlichen Rente werden in vielen Debatten vergessen. Wenn wir pauschal sagen: Die gesetzliche Rente ist zu teuer, wir können uns das nicht mehr leisten, oder wenn wir sie gegen Verteidigungsausgaben ausspielen, ignorieren wir ihre Bedeutung für die gesamte Gesellschaft.
Wie oft hört man: Die gesetzliche Rente bringt nichts, die Bundeszuschüsse zur Rente explodieren, mehr Kapitaldeckung und ETFs wären die einzige Lösung. Weil solche markigen Sprüche immer wieder verfangen, ist es umso wichtiger, diesen negativen Mythen entgegenzutreten und gerade Jüngere über die Bedeutung der gesetzlichen Rente als solidarisches System, das auf das Wohl aller Generationen ausgerichtet ist, zu informieren.
Nehmen wir beispielsweise den Mythos, dass die Bundeszuschüsse für die Rente explodieren. Das stimmt so nicht. Absolute Zahlen sehen immer groß aus, aber der Kontext zählt. Misst man diese Zuschüsse am gesamten Bundeshaushalt, sank ihr Anteil von 31 Prozent im Jahr 2004 auf 25 Prozent im Jahr 2023. Aufgrund der Stabilisierung des Rentenniveaus wird erwartet, dass der Anteil mittelfristig wieder auf rund 30 bis 31 Prozent ansteigt. Nimmt man das Bruttoinlandsprodukt als Maßstab, dann ist der Anteil der gesamten Bundesmittel an der Rente bei 2,7 Prozent. Wir geben also 2,7 Prozent unserer Wirtschaftsleistung dafür aus, um sinnvolle Leistungen wie Mütterrenten, Witwenrenten, aber auch Rehabilitationsleistungen, die Grundrente oder den Zuschuss zur Krankenversicherung der Rentner zu bezahlen. Und noch eines muss klar gesagt werden: Die Rente wird zum Großteil aus Beiträgen der aktiven Generation finanziert.
Und trotzdem ist eine Sache unbestritten: Die Rentenkasse benötigt mehr Geld. Ein wichtiger Schritt wäre, dass neben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch neue Beamtinnen und Beamte, Selbstständige, Politikerinnen und Politiker sowie Angehörige der freien Berufe in eine solidarische Rentenversicherung einzahlen. Darüber hinaus muss man, allen, die arbeiten möchten, das auch ermöglichen. Ich denke da unter anderem an Frauen, die aufgrund von fehlenden Kitaplätzen oder der Pflege von Angehörigen lediglich reduziert arbeiten können, Arbeitslose oder Menschen mit einer Schwerbehinderung.
Und nicht zu vergessen: Ein Großteil der Ausgaben, die der gesamten Gesellschaft, nicht nur den Beitragszahlern, zugutekommen, fließt derzeit fälschlicherweise aus den Sozialversicherungstöpfen statt über Steuern aus dem Bundeshaushalt. Ein besonders deutliches Beispiel liefert die Deutsche Rentenversicherung: Aktuell übernimmt sie für rund 124,2 Milliarden Euro Leistungen wie Kindererziehungszeiten, Mutterschutz oder Ausbildungszeiten. Der Bund erstattet jedoch lediglich 84,3 Milliarden Euro als Bundeszuschuss. Die verbleibenden 40 Milliarden Euro zahlt die Rentenkasse aus eigenen Mitteln – also letztlich aus Beiträgen der Versicherten.
Um die Rentenkasse aus der finanziellen Krise zu führen und generationengerecht zu finanzieren, gibt es genügend Wege. Wir müssen nur den Mut haben, sie endlich gemeinsam zu gehen.
Verena Bentele ist Präsidentin des größten deutschen Sozialverbands, dem VdK. Damit vertritt sie die sozialpolitischen Interessen von 2,3 Millionen Mitgliedern. Seit 2021 ist sie zudem Vize-Präsidentin des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Von 2014 bis 2018 war sie Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Mehr Informationen erhalten Sie hier.
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