GVG-Perspektive Nr. 14 – Meinungsbeitrag Prof. Dr. Joachim Ragnitz (ifo Institut, stellv. Leiter der Niederlassung Dresden)

Was bedeutet Generationengerechtigkeit in der Gesetzlichen Rentenversicherung?

21.07.2025

In den kommenden Jahren werden die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre sukzessive in den Ruhestand eintreten. Da deren Rentenansprüche in einem umlagefinanzierten System von der aktuell erwerbstätigen Generation gezahlt werden müssen, die künftig zahlenmäßig deutlich schwächer besetzt sein wird als in der Vergangenheit, stellt sich die Frage nach einer „gerechten“ Aufteilung der Alterssicherungslasten auf die verschiedenen Generationen.

Der sogenannte „Generationenvertrag“ wird gemeinhin lediglich in der Weise interpretiert, dass die jeweils nachwachsende Generation die Rentenansprüche ihrer Elterngeneration bedienen muss. Aber diese Sichtweise lässt die Gegenleistung der Rentnergeneration außer Betracht. Diese besteht nicht darin, dass sie früher ihre eigenen Eltern im Alter unterstützt haben, sondern darin, dass sie die heutigen Beitragszahler aufgezogen haben. In einer vollständigen Betrachtung kann man also die Erfüllung der Rentenansprüche der Älteren als nachträgliche Kompensation für deren erbrachte Erziehungsleistung auffassen. In dieser Sichtweise bedeutet Generationengerechtigkeit, dass die Beitragsleistungen der erwerbstätigen Generation (die konstruktionsbedingt den Auszahlungen an die Generation ihrer Eltern entsprechen) zumindest annähernd dem Gegenwert der von ihnen erhaltenen Erziehungsleistungen entsprechen. Insbesondere besteht deswegen keine finanzielle Äquivalenz zwischen den individuellen Beitragszahlungen und den damit verknüpften Rentenanwartschaften, wie es in einem kapitalgedeckten System der Fall wäre.

Folgt man dieser Logik, dann müsste allein die Generation der Rentnerinnen und Rentner die Kosten der Alterung tragen. Sie sind es nämlich, die durch den Verzicht auf mehr Kinder (die kohortenspezifische Geburtenziffer liegt für alle Geburtsjahrgänge ab 1940 unter dem bestandserhaltenden Niveau von gut 2 Kindern je Frau) ihren Teil der Leistung reduziert haben und deswegen jetzt auch nur eine geringere Gegenleistung in Form von Rentenauszahlungen erwarten dürfen. Man kann es auch so ausdrücken: Dadurch, dass sie geringere Erziehungsaufwendungen auf sich nehmen mussten, haben sie ihre Konsummöglichkeiten in der Erwerbsphase gesteigert, und müssen deswegen ihre Konsummöglichkeiten in der Rentenphase einschränken. Man hätte in der Vergangenheit privat vorsorgen können, um den individuellen Konsum über den Lebenszyklus zu glätten; wenn man dies nicht getan hat, kann man nicht von der Generation der Kinder erwarten, dass diese das jetzt durch eigenen Konsumverzicht kompensiert.

Für die aktuelle Diskussion um eine Reform der Gesetzlichen Rentenversicherung folgt dementsprechend, dass das Rentenniveau abgesenkt werden sollte, statt die Steuer- und Beitragszahlungen der erwerbstätigen Generation zu erhöhen. Dass die Politik anders agiert und nach aktuellem Plan das Rentenniveau bei 48% der durchschnittlichen Lohneinkommen stabilisieren will, ist insoweit bestenfalls wahltaktisch zu erklären – nicht aber durch ein objektives Verständnis für die Logik des Generationenvertrages.

Man kann jetzt zweierlei einwenden: Zum einen gibt es auch in der Generation der heutigen und zukünftigen Rentner Personen, die mehr als zwei Kinder aufgezogen haben und insoweit individuell ihren Beitrag zur Erfüllung des Generationenvertrags geleistet haben. Diesen sollten dann auch höhere Rentenansprüche zugestanden werden, wie dies mit der (strittigen) Mütterrente III auch beabsichtigt ist. Das Problem ist dann eher, dass die Mütterrente durch die Gesamtheit der aktuellen Steuer- und Beitragszahler finanziert wird und nicht durch die Gruppe derjenigen Rentnerinnen und Rentner, die selber weniger als zwei Kinder bekommen haben. Und der zweite Einwand ist, dass die Politik bis zum Ende der 1990er Jahre den Eindruck vermittelt hat, dass nicht nur die Rente an sich, sondern auch deren Höhe gesichert sei. Dies hat sich erst mit dem Rentenreformgesetz 1999 bzw. den Rentenreformen 2002-20024 der damaligen rot-grünen Bundesregierung geändert, mit denen zur Vermeidung einer Überforderung der Beitragszahler bei der Bemessung der Rentenanpassungen auch die Verschiebungen der Altersstruktur berücksichtigt werden sollten. Für eine Anpassung des Gebärverhaltens der geburtenstarken Jahrgänge kamen diese Reformen allerdings zu spät. Sie jetzt quasi dafür zu bestrafen, dass die Politik die mit einer niedrigen Geburtenrate verbundenen Probleme für die Rentenfinanzierung nicht früher erkannt (und auch nicht ausreichend kommuniziert) hat, erscheint insoweit auch nicht angemessen.

Man wird daher einen Kompromiss eingehen müssen, der die Kosten der Alterung auf alle beteiligten Gruppen aufteilt – auf die erwerbsfähige Generation, indem diese höhere Beitrags- und Steuerzahlungen zu leisten hat, und auf die Rentnergeneration, die ein weiteres Absinken des relativen Rentenniveaus hinzunehmen hat. Hierzu sollte der Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenanpassungsformel (wiewohl dieser in der aktuellen Fassung des § 68 Abs. 4 SGB VI die Interessen der Rentner höher gewichtet als die Interessen der Beitragszahler) in Zukunft wieder Anwendung finden.

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