GVG-Perspektive Nr. 7 - Meinungsbeitrag Jonas Hohenforst, Stiftung Generationengerechtigkeit & Jugend-Enquete-Kommission e.V.

Generationengerechtigkeit im Sozialstaat: die Verantwortung für die Zukunft

30.01.2025

Neben den unmittelbaren Aufgaben des Staates, wie der Gewährleistung von Sicherheit, Infrastruktur und Gesundheitsversorgung, impliziert der Sozialstaat ein stilles Versprechen: Die nächste Generation soll bessere Chancen haben. Dieses Versprechen erfordert jedoch keine bloße Absichtserklärung, sondern aktive Entscheidungen und mutige Reformen, um es einzulösen.

Warum sollten wir heute in eine nachhaltige Zukunft investieren, wenn wir trotz Klimawandel und sozialer Ungleichheiten unsere eigenen Lebensjahre noch relativ gut verbringen können?

Durch die „steigende Macht“ der älteren Wählergruppe – die Berühmte „Urnen-Form“ unserer Altersstruktur – und weiteren sozioökonomischen Härten wächst die Verantwortung, junge Menschen aktiv in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Studien zeigen, dass das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Parteien sinkt, aber nicht in die Demokratie selbst. Hier nicht aktiv gegenzusteuern und ausgleichende Faktoren zu etablieren, würde unsere Demokratie angreifbar machen und Raum für eine frühe Radikalisierung ermöglichen.

Jugendbeteiligung und Generationengerechtigkeit sind daher eng verbunden und eine demokratische Notwendigkeit. Es geht um mehr als reine Ressourcenverteilung. Um o.g. Versprechen einzulösen und das Vertrauen in den Sozialstaat erhalten bleibt, müssen junge Menschen heute die Möglichkeit haben, ihre Zukunft aktiv mitzugestalten. Dabei ist es wichtig aktiv über die verschiedenen Dimensionen von Generationengerechtigkeit nachzudenken und keine emotional-polemisch aufgeladenen Diskussionen von „Alt gegen Jung“ führen, sondern Ungleichheiten klar erfassen.

Generationengerechtigkeit ist ein zentraler Grundpfeiler unseres Sozialstaates. Um unseren Staat für langfristiges Wachstum und gesellschaftlichen Frieden zu sichern, müssen wir die kommenden Generationen stehts mitdenken.

Für die Debatte um mehr Generationengerechtigkeit sind im Folgenden, angelehnt an die „Sustainable Governance Indicators“ und den „Intergenerational Justice Index“, mehrere Diskussionsanregungen aufgeführt. Sie sollen vor allem als Denkanstoß dienen – als Einladung, bei der Suche nach Lösungen nicht allein auf die Anpassung traditioneller (redistributiver) sozialpolitischer Instrumente zu setzen, sondern auch grundlegendere und weitreichendere Ansätze in Betracht zu ziehen.

Die drei Säulen der Generationengerechtigkeit: Ökonomie, Ökologie und Chancengleichheit

1. Ökonomie: Investieren statt Konsumieren
Die Staatsschulden pro Kind und die Belastung der Sozialsysteme zeigen, wie stark heutige politische Entscheidungen auf Kosten zukünftiger Generationen gehen. Statt kurzfristigem Konsum muss der Sozialstaat langfristig denken und in Bereiche wie Bildung, Digitalisierung und nachhaltige Infrastrukturen investieren.

Innovative Idee: Der „Zukunftsfond Jugend", gespeist aus ressourcenbasierten Steuern wie CO₂-Abgaben, könnte gezielt Projekte fördern, die Bildung, Start-up-Gründungen und zukunftsweisende Technologien vorantreiben. Junge Menschen könnten zinslose Kredite oder Zuschüsse für Umwelt- und Sozialprojekte beantragen, um Verantwortung für die Gestaltung einer nachhaltigeren Gesellschaft zu übernehmen.

2. Ökologie: Die Umwelt als intergenerationelles Vermächtnis
Die Überschreitung planetarer Grenzen gefährdet die Lebensqualität zukünftiger Generationen massiv. Generationengerechtigkeit bedeutet, natürliche Ressourcen so zu nutzen, dass die kommenden Generationen in einer lebenswerten Umwelt aufwachsen können.

Innovative Idee: Die Einführung einer „Intergenerationellen Umweltbilanz" würde sicherstellen, dass der ökologische Fußabdruck politischer Entscheidungen bewertet wird. Diese Bilanz sollte jährlich veröffentlicht und von unabhängigen Gremien geprüft werden, um Umweltbelastungen sichtbar zu machen und politische Entscheidungen langfristig zu lenken.


3. Chancengleichheit: Bildungsgerechtigkeit als Schlüssel zur sozialen Gerechtigkeit
Die soziale Herkunft bestimmt in Deutschland noch immer stark den Bildungserfolg. Relative Kinderarmut und ungleiche Startbedingungen hemmen individuelle Entwicklung und gefährden die gesellschaftliche Innovationskraft. Bildungsgerechtigkeit ist daher eine Grundvoraussetzung für einen gerechten Sozialstaat.

Innovative Ideen: Ein „Bildungsguthaben“ für Kinder aus Familien unterhalb der mittleren Einkommensgrenze könnten gleiche Chancen für Bildungsangebote, digitale Ausstattung und persönliche Entwicklung schaffen.

„Jugendbeteiligungsbudgets“ in Städten und Kommunen. Demokratie muss geübt werden und beginnt im Kleinen, doch bisher gibt es zu wenig feste Austauschformate für die Altersgruppen, die am wenigsten repräsentiert sind. Zu viel hängt von dem Engagement einzelner Kommunen, Städten und den individuellen finanziellen, akademischen Möglichkeiten ab.

Fazit: Der Sozialstaat lebt von dem Pakt zwischen den Generationen.
Daher ist Gerechtigkeit und Jugendbeteiligung hier keine Option, sondern eine Notwendigkeit, um unser Zusammenleben in einer sich beschleunigenden Welt zukunftsfähig zu gestalten. Neben o.g. Möglichkeiten ist es unumgänglich, die Beteiligung junger Menschen selbst mit neuen Formaten und niederschwelligen Angeboten, wie Beiräte, direkte Projektgruppen und festen Anhörungen, zu stärken.
Jede Investition in die nächste Generation ist eine Investition in den Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.

Denn: Politics without youth is politics without use.

Hinweis zu den Meinungsbeiträgen

Die in diesem Meinungsbeitrag geäußerten Ansichten und Standpunkte repräsentieren ausschließlich die persönlichen Meinungen der jeweiligen Expertinnen und Experten und nicht die offizielle Position der GVG (Gesellschaft für die Versicherungswissenschaften und -gestaltung e.V.). Die GVG ist eine konsensbasierte Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, Debatten über verschiedene sozialpolitische Themen anzustoßen. Die Veröffentlichung dieser Meinungsbeiträge dient dem Zweck, unterschiedliche Standpunkte und Ansichten in die Diskussion einzubringen. Die GVG bleibt neutral und achtet auf eine Ausgewogenheit der Perspektiven.