Wie kann es gelingen, das Erwerbspotenzial der Ü60-Jährigen zum Wohle aller auszuschöpfen?
In diesem Beitrag präsentiert Prof. Dr. Enzo Weber Ideen für die Aktivierung des Erwerbspotenzials älterer Beschäftigter. Er ist Leiter des Forschungsbereichs "Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen" am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Regensburg und IZA Research Fellow.
Jeder sieht zu, möglichst schnell in die Rente zu kommen, kürzer statt länger arbeiten lautet die Devise. Das ist der Tenor der öffentlichen Debatte zu Beschäftigungsperspektiven Älterer. Und er ist falsch.
13 Prozent der Rentnerinnen und Rentner arbeiten weiter. Das zeigt die jüngste Arbeitskräfteerhebung. Der Trend ist deutlich steigend, auch insgesamt bei Älteren: Waren im Jahr 2000 noch 10 Prozent der 60- bis 64-Jährigen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, ist es heute schon mehr als die Hälfte. Und in der Tat geht es immer öfter um sozialversicherungspflichtige Jobs, Minijobs sind auf dem Rückzug.
Wenn Menschen in ihren 60ern genauso häufig erwerbstätig sind wie heute fünf Jahre Jüngere, gewinnen wir 2,5 Millionen Arbeitskräfte. Das ist essenziell, denn allein durch die Demographie gehen 7 Millionen über 15 Jahre verloren. Bei Älteren liegt das größte Potenzial, das der Arbeitsmarkt im Inland noch hat.
Wir sollten also alles tun, um dieses Potenzial zu heben. Und das lohnt sich nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Menschen selbst. Nach Befragungsergebnissen arbeiten manche zwar auch weiter, weil es finanziell sonst nicht reicht. Aber die überwiegenden Gründe sind positiv: Spaß an der Arbeit, eine sinnvolle Aufgabe, Kontakt zu anderen Menschen. Was lässt sich also politisch unternehmen?
„Das Arbeitsverhältnis endet mit Erreichen der Regelaltersgrenze“ – der Standard in Arbeits- und Tarifverträgen. Und der stammt aus dem letzten Jahrtausend. Natürlich kann das Ende des Arbeitsverhältnisses per Vereinbarung hinausgeschoben werden. Aber ginge das denn nicht anders? Doch: Wie wäre es mit einer Gesetzesregelung, dass Arbeitsverhältnisse zu diesem Zeitpunkt nicht enden, sondern einfach nur kündbar werden können? Dann wäre kein Pflock mehr eingerammt, dass automatisch Schluss ist, sondern nur, wenn eine Seite wirklich nicht mehr will. Für eine Kündigung wäre eine hinreichend lange Frist vorzusehen, um kurztaktige Unsicherheit für die Beschäftigten zu vermeiden. Die Regelung wäre wie üblich in Arbeits- bzw. Tarifverträge aufzunehmen. Gegenüber der gegenwärtigen Praxis ergäbe sich keine Schlechterstellung, denn ein Hinausschieben des Beendigungszeitpunktes erfolgt naturgemäß befristet.
Altersgrenzen sind ohnehin keine guten Ratgeber. Forschung zeigt: Renteneintritte ballen sich an solchen Grenzen – selbst wenn es ökonomisch eigentlich nicht sinnvoll ist. Wir sollten also im Rentensystem wegkommen von der Fixierung auf Altersgrenzen. Stattdessen durchgängige Anreize für das Weiterarbeiten bieten und das auch so kommunizieren. Diese Chance lässt sich dann nutzen für eine zielgerichtete Informationskampagne zu den finanziellen Auswirkungen – denn transparente Information zu diesem komplexen Thema kann nach Studienergebnissen schon viel bewirken, und kostet dabei fast nichts.
Sollen Personen im Rentenalter neu eingestellt werden, greift die Beendigungsmöglichkeit an der Regelaltersgrenze nicht mehr. In Frage kommt eine sachgrundlose Befristung, dann also für maximal zwei Jahre. Gab es zuvor schon einmal ein Beschäftigungsverhältnis beim selben Arbeitgeber, geht auch das nicht. Diskutiert worden ist die Aufhebung des Vorbeschäftigungsverbots. Ein neuer Sachgrund „Einstellung im Rentenalter“ würde dagegen die Beschäftigungsmöglichkeiten Älterer unabhängig machen von den Einschränkungen und möglichen Änderungen bei der sachgrundlosen Befristung. Denkbar wäre jedoch, die Anzahl von Verlängerungen innerhalb eines bestimmten Zeitraums in ähnlicher Weise zu begrenzen.
Auffällig ist aber: Mit 33 Prozent haben in Deutschland besonders viele vor Renteneintritt schon nicht gearbeitet. Gerade in körperlich belastenden Berufen erfolgt der Ausstieg oft frühzeitig. Deshalb sollten Beschäftigte rechtzeitig in verwandte Tätigkeitsprofile weiterentwickelt werden, in denen es eine längere Perspektive gibt. Und derartige Cluster von Tätigkeiten und Berufen, die ähnliche Grundkompetenzen erfordern und Wechsel ermöglichen, gibt es. Dazu gehört auch eine Qualifizierungswelle 50plus – also genau dann, wenn bisweilen schon darauf geschielt wird, wie man die letzten paar Jahre auch noch über die Bühne bringt. Die Perspektive: zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber rechtzeitig Gespräche darüber führen, welche Entwicklung für die späte Phase des Erwerbslebens gemeinsam angestrebt wird. Und arbeitsmarktpolitisch Beratung und Unterstützung für derartige Strategien anbieten.
Und schließlich zeigen die Betriebe selbst, wie es geht: Wenn sie Beschäftigte halten, die schon Rentenanspruch haben, dann wird keineswegs oft Geld auf den Tisch gelegt. Sondern es geht um weniger Arbeitsstunden, flexiblere Arbeitszeiten und geeignete Tätigkeitsinhalte. Selbstbestimmtheit ist wichtig. Ein weiteres Argument für neue Arbeitszeitoptionen: X-Tage-Woche statt starrer Regelungen.
Folgen wir also nicht dem Tenor der Debatte. Es gibt Trends, die in die richtige Richtung gehen. Wir haben es in der Hand, genau diese zu verstärken.
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