GVG-Perspektive Nr. 9 – Meinungsbeitrag Dr. Dina Frommert (DRV Bund, Abteilungsleiterin Forschung und Entwicklung)

Rentenübergänge: Flexibel, flexibler, gesetzliche Rente

19.03.2025

Derzeit wird viel darüber diskutiert, wie Ältere zur Weiterarbeit motiviert werden können. Dabei wird des Öfteren der Eindruck erweckt, die gesetzliche Rentenversicherung habe in Sachen Rentenübergang zu starre Regelungen und hindere die Menschen an der Weiterarbeit. Dabei ist die gesetzliche Rentenversicherung inzwischen so flexibel aufgestellt wie wohl nie zuvor. Spätestens seit dem vollständigen Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen für Altersrenten auch vor Erreichen der Regelaltersgrenze sind der individuellen Gestaltung des Übergangs in den Ruhestand zumindest aus rentenrechtlicher Perspektive kaum noch Grenzen gesetzt.

Versicherte können – soweit sie die Voraussetzungen wie die Wartezeit von 35 oder 45 Jahren erfüllen – mehrere Jahre vor der Regelaltersgrenze in Rente gehen. Je nach Fallgestaltung ist dies mit Abschlägen verbunden. Diese betragen dauerhaft 0,3% pro Monat der vorzeitigen Inanspruchnahme. Zu erwartende Abschläge können frühzeitig mit Sonderzahlungen ausgeglichen werden. Soll die Rente erst nach Erreichen der Regelaltersgrenze bezogen werden, ist auch dies ohne Einschränkungen möglich. Jeder Monat der späteren Inanspruchnahme wird mit einem Zuschlag von dauerhaft 0,5% honoriert.

Tab. 1:   Altersrentenarten im Überblick (Rentenzugang 2023, Anteil in %)

Altersrente für…

 

… langjährig Versicherte

Wartezeit: 35 Versicherungsjahre

ab 63 mit Abschlägen

 

22 %

… besonders langjährig Versicherte

Wartezeit: 45 Beitragsjahre

2 Jahre vor Regelaltersgrenze abschlagsfrei

 

29 %

… für schwerbehinderte Menschen

Wartezeit: 35 Versicherungsjahre

2 Jahre vor Regelaltersgrenze abschlagsfrei
bis zu 3 weitere Jahre früher mit Abschlägen

 

7 %

Regelaltersrente

Wartezeit: 5 Beitragsjahre

Anhebung Altersgrenze auf 67 Jahre

 

42 %

 

Neben den Altersrenten darf inzwischen unbegrenzt hinzuverdient werden, eine Weiterarbeit ist insoweit ohne Einschränkungen möglich. Bis 2022 galt dies erst nach Erreichen der Regelaltersgrenze. Diese neue Möglichkeit hat dazu geführt, dass sich die Zahl der Menschen, die vor der Regelaltersrente eine Altersrente beziehen und gleichzeitig mehr als geringfügig erwerbstätig sind, in den zwei Jahren von 2021 bis 2023 auf 117 000 Personen mehr als verdoppelt hat.

Versicherte können zudem jederzeit eine Teilrente von 10% bis 99,99% wählen: Nicht in Anspruch genommene Rententeile können so später mit weniger Abschlag bzw. sogar mit Zuschlag bezogen werden. Die meisten Menschen, die eine Teilrente beziehen, wählen 99,99%. Sie pflegen Angehörige und können durch den Bezug einer Teilrente auch nach der Regelaltersgrenze Entgeltpunkte für die Pflege gutgeschrieben bekommen.

All diese Regelungen zeugen von der hohen Flexibilität beim Übergang in die gesetzliche Rente. Mit dem hohen Maß an Gestaltungsfreiheit gehen für die Betroffenen allerdings auch verschiedene Entscheidungspfade einher. Einfache und transparente Regelungen erleichtern die Entscheidung und können dadurch die Akzeptanz und die Attraktivität des Alterssicherungssystems erhöhen sowie die Bürokratie klein halten. Neue, zusätzliche Regelungen im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung, wie z. B. die zuletzt von der Ampelregierung geplante Rentenaufschubprämie, sind vor diesem Hintergrund kaum nötig und ggf. sogar wenig zielführend.

Zunächst sollte eruiert werden, was die Menschen von einer Weiterarbeit konkret abhält bzw. zu dieser anregt. In vielen Fällen sind, neben finanziellen Aspekten, schlicht die folgenden Fragen entscheidend: Gehe ich gerne arbeiten? Habe ich eine wertschätzende Führungskraft, einen intakten Kollegenkreis, Gestaltungsfreiheit? Wie sind die (altersgerechten) Arbeitsbedingungen, mein Gesundheitszustand, meine familiäre Situation?

Allesentscheidend ist darüber hinaus, ob der Arbeitgeber überhaupt eine Weiterarbeit möchte und möglich macht. Oftmals werden Hürden zur Weiterarbeit auch von arbeitsrechtlicher Seite gesetzt. Daneben können steuerrechtliche Gründe die Gestaltung des Rentenübergangs beeinflussen. Das Zusammenwirken der drei Säulen unterstützt ebenfalls nicht immer einen flexiblen Übergang: Bezieht man zunächst nur eine Teilrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, entsteht z. B. bei der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst VBL noch kein Anspruch auf eine Rentenzahlung. Diese setzt erst dann ein, wenn erstmals eine Vollrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen wird – Zuschläge für eine spätere Inanspruchnahme der Rente sind bei der VBL jedoch nicht vorgesehen.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die gesetzliche Rentenversicherung einen sehr flexiblen und fairen Rahmen setzt, wenn es um die individuelle Ausgestaltung des Rentenüberganges geht. Hinderungsgründe für eine Weiterarbeit liegen oftmals in gänzlich anderen Bereichen.

 

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