GVG im Gespräch: Frau Zurkuhlen, wie würden Sie die Arbeit des Kuratoriums Deutsche Altershilfe beschreiben?
Dr. Alexia Zurkuhlen: Das KDA ist eine traditionsreiche Organisation für das Thema des Alter(n)s und alle damit verbundenen Facetten. Wir verstehen uns als Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis. Basierend auf den Erkenntnissen vor Ort, in Quartieren, in der Häuslichkeit, in Wohnformen, werden Konzepte für ein besseres Altern entwickelt und erprobt. Dabei kann es sich zum Beispiel um Modellprojekte für neue Wohnformen, aber auch um die Ermöglichung einer Vereinbarkeit von Beruf und Pflege oder die Vernetzung in der Region handeln.
GVG im Gespräch: Welchen Mehrwert hat die Mitgliedschaft bei der GVG für diese Aufgabe?
Dr. Alexia Zurkuhlen: Ich habe einen sehr persönlichen Zugang zur GVG, weil ich zwischen 2011 und 2013 Mitarbeiterin des Health Teams der GVG war. Ich durfte in dieser Zeit u.a. die Verantwortung für Projekte in der Mongolei und Tunesien übernehmen sowie teamübergreifend arbeiten und z.B. eine Publikation zu e-Health begleiten. Das Verständnis der GVG als Konsensplattform bei den z.T. entgegenliegenden Interessen ihrer Mitglieder fand ich schon immer bemerkenswert. Dieser Gedanke hat meine berufliche Laufbahn immer wieder geprägt. Das Kuratorium Deutsche Altershilfe und die GVG leben von ihren Netzwerken und Partnern. Hier sehe ich gute Synergiemöglichkeiten für unsere Kuratorinnen und Kuratoren aus der Wohlfahrt und die Stakeholder der Sozialwirtschaft.
GVG im Gespräch: In welchen Foren wollen Sie sich bei der GVG einbringen?
Dr. Alexia Zurkuhlen: Unsere Steckenpferde sind alle Themen rund ums Altern, daher wollen wir uns sowohl im Ausschuss Alterssicherung als auch im Ausschuss für Gesundheit und Pflege einbringen. Aufgrund meiner eigenen Vita als Europa-Politikwissenschaftlerin habe ich ebenfalls ein großes Interesse am Forum Europa.
GVG im Gespräch: Auf seiner Webseite schreibt das KDA, dass es den „demografischen Wandel ausdrücklich als Chance“ versteht. Worin liegen diese Chancen?
Dr. Alexia Zurkuhlen: Die Chance liegt einmal im Potenzial für die Gesellschaft insgesamt, zum anderen in den Möglichkeiten für den einzelnen. Wenn ältere Menschen ihre Erfahrungen allen Generationen zur Verfügung stellen, können viele Möglichkeiten geschaffen werden in der Organisation eines positiven Miteinanders. Die Gesellschaft kann erheblich vom bürgerschaftlichen Engagement Älterer profitieren. Dazu sollten die Vielfalt und das Potenzial der älteren Menschen erkannt und gefördert werden. Umgekehrt trägt das Engagement dazu bei, dass Teilhabe stattfindet. Menschen, die sich noch lange nach ihrem Wunsch und ihren Möglichkeiten einbringen können, sind oft zufriedener und auch gesünder.
GVG im Gespräch: Wir entnehmen aus Ihren Veröffentlichungen, dass die Gesellschaft noch zu wenig aus dem Potenzial der neuen Generation älterer Menschen macht. Sie haben kürzlich auch kritisiert, dass der der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung dringend notwendige Reformen in Arbeitskreise und Kommissionen geschoben hat. An welche Bereiche denken Sie da besonders?
Dr. Alexia Zurkuhlen: Alle Generationen altern auf sehr individuelle Weise, keine Generation ist homogen. In dieser Vielfalt liegt eine Chance und diese muss besser genutzt werden. Teilhabe und Partizipation sind unabdingbar in einer alternden Gesellschaft: Menschen müssen die Möglichkeit haben, unterschiedlich alt zu werden und in ihren Gemeinschaften mitzuwirken.
Dazu haben sich im Pflege- und Gesundheitssystem Reformen angestaut. Gut gedachte Gesetzesentwürfe der Ampel-Koalition, die nicht mehr verabschiedet wurden, müssen dringend in die Umsetzung kommen. Ich denke da etwa an das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG).
In der Pflege brauchen wir dringend integrierte Versorgungsmodelle und Angebote, die sich besser am Bedarf der Pflegebedürftigen orientieren. Aber auch hier sind Erneuerungen notwendig: Um dem Fachkräftemangel in der beruflichen Pflege zu begegnen, muss der Pflegeberuf neu gedacht und von innovativen Lösungen unterstützt werden. Die Vielseitigkeit des Berufs muss in den Vordergrund gestellt werden und neue Berufsbilder wie Community Health Nurses und Physician Assistants ähnlich wie bei unseren Europäischen Nachbarn ihren Einsatz finden.
Auch pflegende An- und Zugehörige brauchen dringend mehr Unterstützung. Wir reden von rund zehn Prozent der Bevölkerung, die zusätzlich zu ihren anderen Tätigkeiten ehrenamtlich Menschen pflegen und so einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag leistet bzw. ohne die das gesamte System kollabieren würde.
GVG im Gespräch: Sie sprachen eingangs von neuen Wohnformen. Welche Rolle spielen diese bei der Pflege?
Dr. Alexia Zurkuhlen: Es geht dabei um sogenannte Caring Communities, in denen professionell Pflegende sowie An- und Zugehörige mit der Nachbarschaft, ehrenamtlichen Netzwerken und anderen Sozialdiensten vernetzt sind. Es gab dazu gute Ansätze in Referentenentwürfen der Ampelkoalition, die eine Stärkung bedarfsgerechter und sektorenübergreifender Angebote vorgesehen hatten. Wir müssen das Zusammenleben, das Altern und das Pflegen sowie auch die Prävention neu denken. Diesen Anspruch tragen wir in das Netzwerk der GVG hinein.
GVG im Gespräch: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Kuratorium Deutsche Altershilfe Wilhelmine-Lübke- Stiftung e. V. (KDA) wurde 1962 vom damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke und seiner Ehefrau Wilhelmine Lübke ins Leben gerufen. Bis heute steht das KDA unter der Schirmherrschaft des amtierenden Bundespräsidenten. Neue Vorständin ist seit dem 1. September 2024 Dr. Alexia Zurkuhlen, bislang geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Vereins Gesundheitsregion KölnBonn und Leiterin des gewi-Instituts für Gesundheitswirtschaft, Köln. Mehr Informationen zum Kuratorium Deutsche Altershilfe finden Sie auch hier.
Das Interview führte David Schäfer (Referent für Sozialpolitik der GVG).