GVG-Perspektive Nr. 15 – Meinungsbeitrag Dr. Dagmar Hertle (bifg), Prof. Dr. Günther Heller (IQTIG)

Wir fordern ein perinatales Register („Geburtenregister“) für Deutschland

25.08.2025
Dr. Dagmar Hertle und Prof. Dr. Günther Heller

In Deutschland sind von der Versorgung rund um die Geburt jährlich etwa 1 Million Frauen und ihre Kinder und Familien betroffen. Schwangerschaft und Geburt sind der häufigste Behandlungsanlass im deutschen Gesundheitswesen und ein guter Start ins Leben legt die Grundlage für langfristige Gesundheit.

Allerdings stellt die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung fest, dass Deutschland nach OECD-Daten in der Qualität der perinatologischen Versorgung nur im europäischen Mittelfeld liegt oder sogar noch geringere Qualität erreicht1. Dies zeigt sich u.a. an einer steigenden Totgeburtenrate in Deutschland, deren Ursachen derzeit unklar sind2 und eine Studie der Charité zur Müttersterblichkeit in Deutschland stellt fest, dass vermutlich nicht alle Fälle statistisch erfasst werden und die wirklichen Zahlen unklar sind“3. Deutschland ist demnach international nur bedingt anschlussfähig in der Qualität der Versorgung rund um die Geburt und was die Daten für die Forschung betrifft. Hohen Ausgaben stehen also eher mäßige Ergebnisse gegenüber und die Datengrundlage reicht nicht aus, um zu analysieren, woran das liegt. Wie unvollständig und zersplittert die Datenlage in Deutschland ist, zeigt unsere Analyse „Warum Deutschland ein Geburtenregister braucht“4,5. Wir haben also ein Problem und brauchen dafür eine Lösung.

Vorgeschlagen wird der Aufbau eines perinatalen Registers („Geburtenregister“) als Voraussetzung für eine umfassende Analyse der Versorgung und der Versorgungsqualität wie sie als Grundlage für die notwendige Versorgungsplanung und Qualitätsverbesserung dringend erforderlich ist. Ein perinatales Register ist ein Standard, der insbesondere in den skandinavischen Ländern längst selbstverständlich ist. Zu aufwändig? Zu teuer? Keineswegs. Denn das Register kann in mehreren Schritten aufgebaut werden und soll auf der Zusammenführung und Ergänzung der vorhandenen Daten beruhen. Wir schlagen einen Stufenplan vor, der Aufwand und Kosten begrenzt und langfristig Einsparungen ermöglicht. Durch ein perinatales Register kann die Versorgung sektorenübergreifend über den gesamten Betreuungsbogen vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des ersten Lebensjahres analysiert werden. So können erstmals Zusammenhänge zwischen der Versorgung und den Outcomes bei Mutter und Kind valide dargestellt werden und zwar für die klinische als auch die außerklinische Geburtshilfe, auch im Vergleich, und unter Einbezug aller beteiligten Berufsgruppen. Dies erscheint umso dringender als im Bereich der gesetzlichen Qualitätssicherung künftig deutliche Beschränkungen der Erhebung relevanter Dateninhalte drohen6. Die Datenerhebung kann ohne großen Aufwand an internationale Standards (z.B. die Erfassung der Müttersterblichkeit gemäß WHO-Kriterien) angepasst werden. Darüber hinaus können zukünftig neue verfügbare Datenquellen einbezogen werden und es kann zunehmend auf elektronisch verfügbare Dateninhalte, z. B. aus der elektronischen Patientenakte zurückgegriffen werden (vergl. Abb.).

Wir fordern daher die Einrichtung und Finanzierung einer Expertengruppe zur Erarbeitung eines konkreten Vorschlags wie ein Perinatalregister in den kommenden Jahren entwickelt werden soll.

Im Einzelnen soll die Expertengruppe

  1. einen Vorschlag zur Erhebung eines (sektorenübergreifend inhaltlich gleichen) Basisdatensatzes erarbeiten, der die bisherigen Qualitätserhebungen im stationären und ambulanten Bereich perspektivisch ersetzen soll.
  2. In einem weiteren Schritt sollen Vorschläge erarbeitet werden, welche die Nutzung von Sozialdaten in Kombination mit dem o. g. Basisdatensatz in einem Regelbetrieb ermöglichen. Dabei sollen über Pseudonymisierungsverfahren anonymisierte individuelle Patientenverläufe abbildbar sein.
  3. Darüber hinaus sollen Vorschläge erarbeiten werden, wie das Register organsiert sein soll und wo die Daten zur Nutzung verfügbar gemacht werden sollen. Beispielsweise wären dezentrale Datenerhebungen und eine Zusammenführung der Daten des Registers beim im Aufbau befindlichen FDZ-Gesundheit denkbar und sinnvoll.
  4. Eine perspektivische Anbindung weiterer Daten, wie z. B. Mutterpässe oder U-Hefte über die elektronische Patientenakte sollen avisiert und geplant und ggf. notwendige Schritte ausgearbeitet werden.
  5. Es soll erarbeitet werden, welche rechtlichen Schritte notwendig sind, um die vorgenannten Punkte umzusetzen.
  6. In Abstimmung mit den beteiligten Stakeholdern sollen Vorschläge zur Finanzierung und Trägerschaft eines solchen Registers unter Abwägung der jeweiligen Vor- und Nachteile erarbeitet werden

Quellen:

1https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/Krankenhausreform/BMG_Regierungskommission_12te_Zukunftsfaehige_Versorgung.pdf

2Heller, G. (2023). Früh- und Totgeburtlichkeit im zeitlichen und internationalen Kontext. 14. Qualitätssicherungskonferenz des G-BA. Online unter www.g-ba.de/down­loads/17-98-5617/PV4_1_Heller_Frueh-und-Totgeburtlichkeit_2023-11-24.pdf (Download am 13.August 2025). 

3Callaghan, J., Dudenhausen, J.W., Königbauer, J.T. (2023). Analyse maternaler Todesfälle von 2019–2022 in Berlin. Z Geburtshilfe Neonatol 2023; 227(S 01): e149
DOI: 10.1055/s-0043-1776449

4Gesundheitswesen aktuell 2025 - Warum Deutschland ein Geburtenregister braucht

5 Noch zu wenig Daten rund um die Geburt – News – Deutsches Ärzteblatt

6https://www.g-ba.de/downloads/39-261-5386/2022-04-21_DeQS-RL_Eckpunkte_Weiterentwicklung.pdf

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