GVG-Perspektive Nr. 16 – Meinungsbeitrag Carl Mühlbach (Geschäftsführer FiscalFuture e.V.), Leonie Alewell (FiscalFuture e.V.)

(Generationen-) Gerechtigkeit in der Rente

01.09.2025

Die gesetzliche Rentenversicherung ist die tragende Säule des deutschen Rentensystems. Doch der demografische Wandel stellt das Umlageverfahren zunehmend vor Herausforderungen: Mit dem baldigen Renteneintritt der Babyboomer-Generation steigt die Zahl der Rentenbeziehenden, während die Zahl der Beitragszahlenden sinkt. Wo in den 60er Jahren noch sechs Erwerbstätige eine*n Rentner*in finanzierten, sind es heute nur noch zwei. Klar ist: Die Rentenkassen brauchen mehr Geld. Welche Gruppen für den erhöhten Finanzbedarf der nächsten Jahrzehnte zur Kasse gebeten werden, ist die zentrale Verteilungsfrage der aktuellen Rentendebatte.

In der öffentlichen Debatte wird diese Frage häufig als Konflikt zwischen Jung und Alt inszeniert. Um die junge Generation vor steigenden Beitragssätzen zu schützen, wird die Forderung nach Rentenkürzungen laut - als sei das Umlagesystem ein Nullsummenspiel zwischen den Generationen. Doch diese Logik greift zu kurz. Werden die Renten vom Produktivitätswachstum abgekoppelt, wachsen die Renten also langsamer als die Löhne, so spüren das später vor allem die heutigen Jungen. Wird das Renteneintrittsalter in der Zukunft angehoben, so betrifft das die heute Erwerbstätigen, die in der Zukunft länger arbeiten müssen.

Statt Jung gegen Alt auszuspielen, braucht es eine ehrliche Verteilungsdebatte. Die Sicherstellung von einem ausreichenden Einkommen im Alter sowie bei Erwerbsminderung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und sollte nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip organisiert werden: Starke Schultern tragen größere Lasten. Dem steht die aktuelle Ausgestaltung des Äquivalenzprinzips entgegen. Wer doppelt so viel eingezahlt hat wie der Eckrentner, bekommt jeden Monat doppelt so viel heraus. Was erstmal fair klingt, führt jedoch de facto zu einer Umverteilung von unten nach oben. Denn: Einkommensstarke Gruppen haben eine strukturell höhere Lebenserwartung. Dadurch können diese nicht nur monatlich, sondern auch über die gesamte Rentenbezugsdauer hinweg höhere Auszahlungen genießen. Reformen zur Deckung des zusätzlichen Finanzbedarfs sollten darauf abzielen, diese Schieflage zu korrigieren.

Momentan wird die gesetzliche Rente zu gleichen Teilen aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen sowie steuerfinanzierten Bundeszuschüssen finanziert. Wie gerecht das Rentensystem finanziert wird, hängt also auch davon ab, wie das Steuersystem gestaltet ist. Während Arbeitseinkommen in Deutschland vergleichsweise hoch belastet werden, bleiben große Vermögen und Erbschaften weitgehend verschont. Eine konsequente Besteuerung sehr hoher Vermögen sowie eine Reform der Erbschaftsteuer könnten für mehr Verteilungsgerechtigkeit bei der Finanzierung sorgen.

Auch innerhalb der gesetzlichen Rente sollte einer strukturellen Umverteilung von unten nach oben entgegengewirkt werden. Dafür braucht es einen Dreiklang an Reformen. Erstens würde eine Anhebung oder Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze dazu führen, dass einkommensstarke Gruppen stärker an der Finanzierung der gesetzlichen Rente beteiligt werden. Zwar dient die Beitragsbemessungsgrenze auch als Obergrenze für die Rentenzahlungen. Jedoch könnten die Rentenzahlungen als zweite Maßnahme ab einem bestimmten Niveau regressiv abgeflacht werden. Dieses Niveau müsste sorgfältig gewählt werden, sodass die Rente ihre materielle Funktion als Sicherung des Lebensstandards im Alter ebenso erfüllt wie ihre symbolische Funktion als Anerkennung der Lebensleistung.

Damit Umverteilungsmaßnahmen in der gesetzlichen Rentenversicherung tatsächlich für mehr Verteilungsgerechtigkeit sorgen, müssen diese die wohlhabendsten Gruppen überhaupt erst erfassen. Als dritte Maßnahme bräuchte es daher eine Ausweitung der Rentenversicherung auf alle Berufsgruppen. Erst jüngst schlug Bundesarbeitsministerin Bas die Einbeziehung von Beamt*innen und Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung vor. Kombiniert mit einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze und einer regressiven Abflachung sehr hoher Rentenzahlungen könnten die durch die höhere Lebenserwartung von Beamt*innen entstehenden Mehrkosten gedämpft oder sogar in zusätzliche Einnahmen verwandelt werden. Außerdem hätte die Einbeziehung von Beamt*innen einen weiteren zentralen Vorteil: Sie würde die empfundene Gerechtigkeit des Rentensystems stärken, da sie dem Gefühl einer Zwei-Klassen-Gesellschaft entgegenwirkt. In Zeiten, in der ökonomische Unsicherheit und gesellschaftliche Spaltung immer mehr Menschen in die Arme von Rechtsextremen treibt, ist das ein nicht zu vernachlässigender Dienst an der Demokratie.

Informationen zu Fiscal Future:

Fiscal Future ist eine überparteiliche Initiative junger Menschen, die sich für eine zukunftsfähige, evidenzbasierte Finanzpolitik einsetzt. Über 200 Engagierte erarbeiten Lösungsansätze zu Themen wie Rentenpolitik und Klimafinanzierung. Ziel ist es, finanzpolitische Teilhabe zu stärken, komplexe Inhalte verständlich aufzubereiten und den Dialog zwischen Jugend, Politik und Wissenschaft – etwa durch Finanzpolitische Jugenddialoge – nachhaltig zu fördern. Carl Mühlbach ist Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins Fiscal-Future e.V., Leonie Alewell Junior Economist. Mehr Informationen zu Fiscal Future finden Sie hier.

 

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