Die Forderung nach der Einbeziehung neuer Gruppen in die gesetzliche Rentenversicherung ist nicht neu – doch bislang ist sie uns vor allem als eine Wunschvorstellung der politischen Ränder begegnet. Angebliche Gerechtigkeitsgründe zeichneten dabei die argumentative Grundlage: Ein gewisser gutverdienender Bevölkerungsanteil würde sich aus der Verantwortung ziehen oder „ein Topf für alle“ sei doch eine nette unbürokratische Sache; Linke und AfD unterscheiden sich in dieser Vorstellung kaum voneinander.
Inzwischen aber hat die Forderung nach einer Erwerbstätigenversicherung Kreise gezogen, wobei sich die Argumentation nicht wesentlich änderte. Zunächst manifestierte die SPD die Einheitsrente in ihrem Parteiprogramm zur Bundestagswahl 2025. Nun gewann der Juniorpartner prima vista sogar die Union, sich der Diskussion über diese vermeintliche Vision eines „gerechteren“ Alterssicherungssystems zu öffnen. Wie sonst sollte man das Ergebnis des Koalitionsausschusses Ende November bewerten, wonach sich die noch zu besetzende Rentenkommission mit der „Einbeziehung weiterer Gruppen in die gesetzliche Rentenversicherung“ beschäftigen solle?
Wenn eine Erwerbstätigenversicherung ernsthaft die Diskussion in der Rentenkommission als Reformoption überstünde, käme dies einer Abkehr von 130 Jahre geltenden Grundprinzipien der gesetzlichen Rentenversicherung gleich. Die Folgen für die Rentenfinanzen und die Verteilungswirkungen wären indes gänzlich andere als gemeinhin damit verbunden.
Das Gravierende daran ist: Die finanziellen Defizite würden mit der Einbeziehung von Beamten oder von Angehörigen der Freien Berufe in die gesetzliche Rentenversicherung nur vergrößert. In Versorgungswerken werden heute die Risiken von Freiberuflern – insbesondere die höhere Lebenserwartung – im Kollektiv gegenseitig abgesichert. Dieser Vorteil würde sich bei einer Eingliederung der Freien Berufe in die gesetzliche Rentenversicherung nach den Eintrittsgewinnen in einen Nachteil umkehren – und zwar für die heutigen Rentenversicherten. Denn Freiberuflern würden im Schnitt höhere Renten zustehen, die noch dazu länger ausbezahlt werden müssten.
Im Übrigen beteiligen sich die Angehörigen der Freien Berufe über das Steuersystem an den Bundeszuschüssen zur gesetzlichen Rentenversicherung, erhalten für ihre Altersvorsorge aber keinerlei Steuergelder aus der Staatskasse. Beides ist systemgerecht, da der Gesetzgeber der Rentenversicherung umfängliche gesamtgesellschaftliche Lasten übertragen hat. Bei einem Einbezug in die gesetzliche Rentenversicherung müsste ein entsprechender Anteil der Bundeszuschüsse auch für diese neue Gruppe eingeplant werden.
Es ist daher mehr als ratsam, sich mit der Erwerbstätigenversicherung nicht romantisch, sondern realistisch auseinanderzusetzen und genau zu überlegen, welche Schritte in Anbetracht der finanziellen Herausforderungen des Rentensystems tatsächlich sinnvoll sind. Denn eine Einheitsrente käme nicht nur einem grundlegenden Umbau der ersten Säule des deutschen Alterssicherungssicherungssystems gleich, der darüber hinaus Jahrzehnte lang andauern würde. Dies würde fatalerweise auch dazu führen, dass die finanziellen Probleme, die die gesetzliche Rentenversicherung aufgrund des demografischen Wandels schon heute hat, noch wachsen würden.
An den Rändern sagt man, dann müsse man eben das Äquivalenzprinzip abschaffen. Man will so einen Weg zur Verbesserung der finanziellen Situation der gesetzlichen Rentenversicherung eröffnen.
Davon rate ich dringend ab. Denn das Äquivalenzprinzip, also das Gleichgewicht von Beitrag und Leistung, ist nicht nur ein grundlegendes Element der Leistungsgerechtigkeit der Rente und essentiell im Lichte der deutschen Sozialversicherungstradition. Sie fußt auf Leistungsgerechtigkeit, Versicherungsprinzip mit Beitragsfinanzierung und -äquivalenz sowie der Orientierung an der Erwerbsarbeit. Es ist zuvorderst eine Anerkennung der eignen Arbeitskraft. Würde dieses Prinzip abgeschafft, ginge ein weiterer Anreiz verloren, mehr zu leisten. In Anbetracht der wirtschaftlichen Lage, in der sich unser Land befindet, kann das keine Antwort sein.
Die in diesem Meinungsbeitrag geäußerten Ansichten und Standpunkte repräsentieren ausschließlich die persönlichen Meinungen der jeweiligen Expertinnen und Experten und nicht die offizielle Position der GVG (Gesellschaft für die Versicherungswissenschaften und -gestaltung e.V.). Die GVG ist eine konsensbasierte Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, Debatten über verschiedene sozialpolitische Themen anzustoßen. Die Veröffentlichung dieser Meinungsbeiträge dient dem Zweck, unterschiedliche Standpunkte und Ansichten in die Diskussion einzubringen. Die GVG bleibt neutral und achtet auf eine Ausgewogenheit der Perspektiven.