gesundheitsziele.de-Konferenz 2020: Hygiene als wichtiges Instrument für mehr Patient(inn)ensicherheit

29. Oktober 2020 Berlin / Digitale Veranstaltung

Im Mittelpunkt des deutschen Gesundheitssystems steht die Patientin bzw. der Patient. Umfängliche Hygienemaßnahmen sind ein sehr wichtiger Faktor für die Patient(inn)ensicherheit, im stationären wie auch im ambulanten Bereich.

Nicht nur in Pandemiezeiten, wie derzeit durch den Erreger SARS-CoV-2, sind Hygienemaßnahmen unabdingbar. Das gilt auch unter „normalen“ Umständen, um die Sicherheit von Patientinnen und Patienten, aber auch von Berufstätigen im Gesundheitswesen zu gewährleisten, vor allem in Hinblick auf multiresistente Keime wie z.B. MRSA.

Der Hygiene kommt im Gesundheitswesen daher eine besondere Bedeutung zu. Dies war Grund genug für den Kooperationsverbund gesundheitsziele.de und die GVG, diesem wichtigen Thema eine eigene Konferenz zu widmen.

 

Moderation

Jürgen Zurheide, Westdeutscher Rundfunk

 

Die wichtigsten Inhalte

 

Begrüßung

Gundula Roßbach, Vorstandsvorsitzende der GVG e.V.

In den vergangenen Monaten während der Corona-Pandemie haben Hygienemaßnahmen in unserem Alltag einen entscheidenden Stellenwert erhalten. Umfängliche Hygienemaßnahmen sind ein sehr wichtiger Faktor für die Patientensicherheit, im stationären wie auch im ambulanten Bereich. Nicht von ungefähr erarbeitet der Kooperationsverbund gesundheitsziele.de „Patientensicherheit“ derzeit als neues nationales Gesundheitsziel.

Das heutige Thema betrifft alle Ebenen und Beteiligten des Gesundheitswesens. Aufgrund des breiten Spektrums an gesundheitspolitischen Trägern, die unter dem Dach von gesundheitsziele.de vereint sind, bietet sich somit eine ideale Möglichkeit zu einem gemeinsamen Austausch.

Basis für die Arbeit von gesundheitsziele.de sind im Wesentlichen Erkenntnisse der evidenzbasierten Wissenschaft, Ergebnisse des koordinierten und intensiven Meinungsaustauschs sowie das Prinzip der Konsensbildung.

 

Grußwort

Dr. Alexandra Clarici, Bundesministerium für Gesundheit

Patientensicherheit ist seit vielen Jahren ein wichtiges Thema für das Bundesgesundheitsministerium.

  • So sind die im Infektionsschutzgesetz niedergelegten Empfehlungen verbindlich, Abweichungen davon müssen begründet werden.
  • Krankenhäuser werden bei der Erfüllung der (Hygiene-)Anforderungen unterstützt, u.a. durch Hygieneförderprogramme
  • Strategisches Ziel ist es, Antibiotika-Resistenzen einzuschränken und Infektionsprävention zu verbessern.

 

Vorträge

Instrumente der Infektionsprävention bei Patient*innen

Prof. Dr. med. Petra Gastmeier, Institut für Hygiene und Umweltmedizin – Charité – Universitätsmedizin Berlin

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In den letzten 150 Jahren haben wir einen Rückgang der exogenen und einen Anstieg der endogenen Krankenhausinfektionen zu verzeichnen.

Entwicklung der exogenen Krankenhausinfektionen

  • Der Anteil der der exogenen Krankhausinfektionen hat seit 1870 abgenommen
  • Gründe: Desinfektion und Sterilisation sind seit 1920 etabliert, seit 1970 sind Einwegprodukte, wo möglich, Standard.
  • Seit 2020 Händehygiene-Kampagnen, hohe Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit

Studie zu Übertragungen von Infektionserregern (2000):

  • 431 Krankenhausinfektionen und 141 Übertragungsereignisse
  • 278 Infektionen durch die häufigsten 10 Erregerarten, davon waren 41 (14.5%) mit Übertragungsereignissen zwischen Patienten assoziiert

Entwicklung der endogenen Krankenhausinfektionen

  • Der Anteil der der endogenen Krankhausinfektionen hat seit 1870 zugenommen
  • Gründe: ab 1920: Anwendung von invasiven “devices” (z. B. Harnwegkatheter); Einführung von Plastikkathetern und anderen invasiven “devices” in großem Stil; 2020 Aggressive Therapien

Fazit

  • Der bisherige ‘One size fits all’-Ansatz in der Krankenhaushygiene ist nicht mehr ausreichend (z.B. Basismaßnahmen wie Händehygiene, Desinfektion, Sterilisation)
  • In der Zukunft benötigen wir einen stärkeren Fokus auf Präventionsmaßnahmen, die an die Bedingungen des jeweiligen Patienten angepasst sind.
  • Der Patient sollte mehr eingebunden und gut informiert werden.

 

Hygiene aus Sicht von Patient*innen und Angehörigen

Günter Hölling, BundesArbeitsGemeinschaft der Patientenstellen und –Initiativen – BAGP

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Hygienemaßnahmen – aktuell im Zuge der Corona-Pandemie – werden oft als lästig empfunden. Ihre Bedeutung wird oft erst dann erkannt, wenn Angehörige erkranken.

Diese Maßnahmen werden aber oft nicht verständlich erklärt. Die Menschen sehen sich einem Maßnahmen-Flickenteppich gegenüber, vermissen Orientierung. Darunter leidet die Akzeptanz der Maßnahmen. Geforderte Distanz verdrängt gesuchte Nähe. Das Allein-sein-müssen überfordert viele Menschen.

Dabei ist Hygiene unverzichtbarer Teil des Qualitätsmanagements. Hygienemaßnahme müssen auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten abgestimmt werden.

 

Patient*innensicherheit als Herausforderung und Chance

Dr. med. Günther Jonitz, Ärztekammer Berlin

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Patientensicherheit heißt, …

  • …aus Fehlern und unerwünschten Ereignissen in der Gesundheitsversorgung zu lernen
  • …und Strategien und Maßnahmen zu entwickeln und anzuwenden, die nachhaltig Fehlern/ unerwünschten Ereignissen vorbeugen.

Handlungsbedarf

  • Zunehmende Behandlungsmöglichkeiten durch medizinischen Fortschritt „im Guten“ bei gleichzeitig schlechteren Rahmenbedingungen für eine gute Versorgung „im Bösen“
  • „Wenn wir auf Intensivstationen die Zahl der Intensivschwestern pro Schicht von 5 auf 4 reduzieren, erhöht sich die Zahl der Infektionen um 23%.“

Handlungsmöglichkeiten

  • Wissen im Umgang mit Fehlern nimmt zu: Systemansatz, Organisations- und Kommunikationsmängel statt „individuelle Schuld“ („was“ war schuld, nicht „wer“ war schuld?)
  • Neue Verfahren zur Fehlervermeidung stehen zur Verfügung: Fehlerlernsysteme (Critical Incident Reporting Systems), Fortbildungen, Schulungen, Zertifizierung etc.
  • Politische Einsicht zur konkreten und gemeinsamen Handlung ist vorhanden: Politik, Gesundheitsberufe, Patienten, Wissenschaft…, national und international

„Hochwertige und humane Arbeitsbedingungen für hochwertige und humane Patientenversorgung“ ergeben eine „win-win-win-Situation“.

Netzwerkarbeit erweist sich als Erfolgsfaktor (Beispiel: Aktionsbündnis Patientensicherheit), Themen sind u.a.: Fehlermeldesysteme, Patientenidentifikation, Patienteninformation, Kommunikation, Ausbildung, Verhalten nach einem Schadensfall, Vergessene Fremdkörper nach OP, Medikationssicherheit, Bildung und Training

Oberstes Ziel muss eine Änderung der „Sicherheitskultur“ sein – durch positiven und proaktiven Umgang mit Fehlern.

Die Bedeutung von „Sicherheitskultur“ ist wissenschaftlich belegt. Ein Ziel wäre es, Patientensicherheit zum nationalen Gesundheitsziel zu machen und so die vorhandene Sicherheitskultur zu fördern und zu messen.

 

Hygiene und Patient*innensicherheit aus Sicht der Ersatzkassen

Dr. med. Martin Kluxen, Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek)

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Hygiene und Patientensicherheit waren bisher auf den stationären Sektor fokussiert. Andere Sektoren (ambulante Versorgung, (häusliche) Pflege etc.) sollten stärker in den Fokus genommen, Projekte des Innovationsfonds in die Versorgung überführt werden.

Gesundheitskompetenz auch im Bereich Hygiene und Patient(innen)sicherheit ist zu stärken (gesund.bund.de, gesundheitsinformation.de, Kampagne „Deutschland erkennt Sepsis“).

November 2017: Resolution des vdek zur Krankenhaushygiene

  • Aktion Saubere Hände: Ausreichenden Finanzierung durch eine „Hygiene-Koalition“ von Krankenkassen, Krankenhäusern, Ländern und Bund, Ziel: Krankenhäuser langfristig, professionell und nachhaltig in ihrem Engagement zur Schulung und Erhöhung der Compliance des Hygienepersonals zu unterstützen.
  • Die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung macht die Krankenhaushygiene zu einem Schwerpunktthema ihrer Aufklärungs- und Informationsarbeit.
  • Der Gemeinsame Bundesausschuss entwickelt in Zusammenarbeit mit dem Robert Koch-Institut eine Richtlinie mit verbindlichen Mindestanforderungen an die Struktur- und Prozessqualität zur Anwendung von Hygienemaßnahmen im Krankenhaus.

Hygienesonderprogramm

Mit der Novellierung des Infektionsschutzgesetzes 2011 wurden die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention verbindlich.

  • Berichtszeitraum 2013 bis 2019: 1.361 Krankenhäuser haben ca. 540 Mio. Euro zur Verbesserung der personellen Ausstattung bei Hygienepersonal erhalten.

RESISTenzvermeidung durch adäquaten Antibiotikaeinsatz bei akuten Atemweginfektionen

  • Die Erprobung der neuen Versorgungsform RESIST stellt das bisher größte Projekt zur Förderung einer rationalen Verordnungsweise von Antibiotika in der ambulanten Versorgung in Deutschland dar.

Diskussion

v. l. o. n. r. u.: Günter Hölling, Dr. Günther Jonitz, Ines Perea (BMG), Dr. Martin Kluxen, Prof. Dr. Petra Gastmeier , Jürgen Zurheide (Moderation)

Teilnehmer der Diskussion

  • Prof. Dr. med. Petra Gastmeier, Institut für Hygiene und Umweltmedizin – Charité – Universitätsmedizin Berlin
  • Günter Hölling, BundesArbeitsGemeinschaft der Patientenstellen und –Initiativen – BAGP
  • Dr. med. Günther Jonitz, Ärztekammer Berlin
  • Dr. med. Martin Kluxen, Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek)
  • Ines Perea, Bundesministerium für Gesundheit